Mittlerweile ist ein wenig Zeit vergangen und wir haben Lottes Unfall alle ein wenig verarbeitet. Die Fraktur ist verheilt, die Drähte sind raus und sie kann den Arm wieder uneingeschränkt bewegen. Auch traut sie sich wieder aufs Klettergerüst, wo ich fast befürchtet habe, sie würde nach dem Unfall davon Abstand nehmen.

Aber erst einmal von Vorne:

Vorab muss ich ehrlicherweise gestehen, dass ich niemals damit gerechnet hätte, dass den Kindern unter des Mannes Aufsicht ein so großer Unfall passieren könnte. Einfach weil Mo eher der übervorsichtige Typ ist und öfter mal zu Dingen Nein sagt, die er für zu gefährlich hält.

Vom Klettergerüst in den OP – das Kamikazekind & die Fraktur

Es war einmal ein Sonntag. Ein wettertechnisch gar nicht mal so schöner Sonntag. Eigentlich hatten wir einen Ausflug in einen Familien-, Freizeit- und Wildpark geplant, den aber am Morgen verworfen. Der Himmel war grau und die Wettervorhersage versprach viel Nass von oben. Da es in dem Park viele Klettermöglichkeiten gibt und überhaupt alles draußen statt findet, wollten wir das an einem anderen, zumindest trockenen, Tag machen. Ironischerweise hatten wir die Befürchtung, eins der Kinder könnte von einem nassen Klettergerüst abrutschen…

Die Kinder waren aber schon auf Ausflug eingestellt und so überlegten wir an einer Alternative. Schnell fiel der Wald als Idee und die beiden Jüngsten waren sofort Feuer und Flamme. Ich nicht so. Ich hab keine Gummistiefel und überhaupt stand so viel im Haushalt an, was unter der Woche liegen geblieben ist…

Wir packten also ein üppiges Picknick, Matsch- und Wechselsachen und ein wenig zum Naschen ein und der Mann machte sich mit ihnen auf den Weg. Da die Kinder den Wald um uns herum auswendig kennen, fuhren sie ein Stück zum Rhein-Weser-Turm.

Ein Unfall. Ein Anruf.

Nachdem es im Haus ganz still wurde, drehte ich ein wenig die Musik auf und wuselte durch die Räume. Jonas Zimmer war fertig, im Bad weichte alles ein und in der Küche hatte ich die Hälfte der Schubladen ausgewischt und wieder befüllt, als mein Handy klingelte. Ich beeilte mich gar nicht so sehr dran zu gehen und dachte, dass ich zur Not zurück rufe. Aber dann war ich doch dran, bevor die Mailbox das erledigte.

… Dann helfen Sie doch, statt zu gaffen, verdammt nochmal! Ihr Gaffen bringt mir gerade gar nichts!!!

Der Mann brüllte Passanten an und ich wunderte mich. Normalerweise ist er nicht so. Dann sprach er zu mir.

Schatz? Lotte hatte einen Unfall. Sie ist vom Klettergerüst gefallen. Ich hab das gar nicht richtig gesehen und dachte erst, sie hätte etwas am Knöchel. Aber dann hab ich gesehen, dass ihr Ellenbogen so komisch ist. Da ist eine sichtbare Fehlstellung! Ich rufe jetzt die 112 an!

Er war so klar und sortiert, das bewundere ich bis heute an ihm. Während ich zuhause erstmal gar nicht wusste, wie atmen funktioniert, geschweige denn was ich als erstes tun sollte, rief er die Notrufnummer 112 an und erklärte dort alles.

Atmen nicht vergessen

Was stand für mich an? Ich hatte mit Mo abgemacht, dass ich Frau Schwiegermutter frage, ob sie mich zum Rhein-Weser-Turm bringen kann (Er hatte ja das Auto.), damit ich Jona übernehmen und mit ihm zum Krankenhaus fahren könnte, während Mo Lotte im Rettungswagen begleiten sollte. Irgendwie stückelte ich die Infos an die Große zusammen, dass Lotte einen Unfall hatte und ich gleich auch weg bin, aber nicht genau weiß, wann ich zurück sein werde.

Der Anruf bei Frau Schwiegermutter war schon deutlich schwieriger und ich musste mehrmals ansetzen, bis ich einen verständlichen Satz rausgebracht hatte. Immer wieder verhaspelte ich mich und vergaß am Ende mein Anliegen an sie. Schlussendlich bekam ich die Infos vermittelt, sie sagte zu und schon 10 Minuten später fuhren wir los.

Das Ziel – so weit weg

Eigentlich ist der Turm gar nicht so weit weg von uns. Nur 24 km, weniger als 30 Minuten über die Landstraßen. Der Weg dahin kam mir aber furchtbar lang vor. Frau Schwiegermutter versuchte mich abzulenken und erzählte von einem Unfall meines Schwagers (mit offenem Bruch), aber so richtig war ich nicht bei der Sache.

Da ich nicht einschätzen konnte, wie schlimm die Verletzung tatsächlich ist, hoffte ich, dass Mo keinen Ärger mit dem Rettungsdienst bekommen würde, weil er Lotte vielleicht auch hätte selbst ins Krankenhaus fahren können oder sollen. Und ich hoffte, dass er sich keine Vorwürfe machte, weil er das nicht verhindert hatte.

Und irgendwie hoffte ich auch, dass es sich einfach um ein riesiges Missverständnis handelte und eigentlich gar nichts dramatisches passiert ist. Vielleicht eine Prellung? Ja, das wäre gut, das wäre okay!

Krankenwagen? Nee, wir fliegen!

Am Ziel angekommen war ich froh, als ich den Notarzt und den Rettungswagen sah. Kurz war meine Befürchtung nämlich, dass das eine ganze Weile dauern könnte, da das Ausflugsziel mitten im Wald liegt und die nächste Rettungswache etwa genauso weit weg ist, wie unser zuhause.

Lotte war auch bereits erstversorgt, saß auf der Liege und lehnte ihren Kopf und Oberkörper an Mos Brust. Ihr rechter Arm lag auf einer fast geraden Schiene, die der Sanitäter soeben verband. Ein anderer maß Puls und Blutdruck, jemand legte ihr einen Zugang. Als ich Lotte ansprach, schaute sie nicht richtig auf, wirkte weggetreten und dösig. Ich machte mir keine Gedanken, da ich vermutete, dass sie bereits ein Schmerzmittel bekommen haben musste. (Dass sie das nicht hatte, bekam ich erst später mit. Schockzustand.)

Der Notarzt nahm mich direkt beiseite.

Erschrecken Sie sich nicht, Frau C., aber wir werden Ihre Tochter fliegen. Den Rettungshelikopter fordert der Kollege gerade an. Lotte hat einen schweren Schock erlitten. Ihr Puls rast, der Blutdruck ist sehr niedrig. Mit dem Krankenwagen brauchen wir eineinhalb Stunden, wenn es gut läuft. Das ist zu lang!

Erschreckt habe ich mich trotzdem. Helikopter! Fliegen! Das machen die sicher nicht, wenn es nicht nötig wäre!

Mit dem Helikopter ins Krankenhaus

Mo und ich konnten uns noch kurz besprechen, dann hörten wir auch schon das Rattern der Hubschrauber-Flügel.

Ein Landeplatz war gar nicht so leicht auszumachen, da der Parkplatz voll belegt und die Terrasse des Restaurants voller Menschen war. Ein großer Schotterplatz bot sich dafür nicht gut an, aber ein paar Meter weiter war eine Lichtung, wohin der Sanitäter den Piloten dirigierte, dann konnte der Helikopter schließlich landen.

Danach ging es recht schnell: Mo nahm Lotte auf den Arm und brachte sie zum Helikopter. Jona, Frau Schwiegermutter, der Notarzt und ich folgten ihnen. Während Lotte auf die Liege geschnallt wurde und in einem kurzen Wutanfall deutlich machte, dass sie sich nicht hinlegen werde, sah Jona sich mit Frau Schwiegermutter den Hubschrauber näher an.

Der Notarzt erklärte mir, dass sie innerhalb von ca. 30 Minuten am Krankenhaus sein würden, ich nach Hause fahren und ein paar Sachen packen sollte, weil Lotte garantiert im Krankenhaus würde bleiben müssen. Außerdem würde die Fraktur vermutlich operiert werden müssen, das würde dann per sofort geschehen. Ich solle mich nicht stressen oder beeilen.

Als alles gepackt war, sah ich mir mit Jona und Frau Schwiegermutter noch kurz den Start des Helikopters an, dann machte ich mich auf die Suche nach unserem Auto, um mit Jona Heim zu fahren.
Am Auto angekommen hatte Jona erstmal einen riesigen Wutanfall. Da war sehr viel Schreck und Anspannung, die von ihm abfielen. Klar, so ein Unfall ist nicht alltäglich und das ganze Drumherum hat ihn aufgewühlt. Hinzu kam, dass er keinen Mittagsschlaf und Hunger hatte. Als ich mit ihm zuhause ankam, war Frau Schwiegermutter längst da und bot mir ihre Hilfe an. Die nahm ich dankbar an. So ging Jona mit rüber, bekam was zu essen und ich kümmerte mich darum für Lotte und mich Sachen zu packen.

Nach dem Unfall: Mit dem Helikopter ins Krankenhaus

Zwischendrin rief Mo an und berichtete, dass ich mich gar nicht zu beeilen bräuchte, Lotte sei eben in den OP gekommen, das würde eine Weile dauern. Er erklärte mir die möglichen Optionen bezüglich der Fraktur und ich hoffte sehr, dass die einfachere Methode funktionieren würde.
Nachdem ich fertig gepackt hatte, besprach ich mit Frau Schwiegermutter noch die nächsten beiden Tage, da wir dort auch Hilfe brauchen würden. Mo kann den Arbeitstag nicht absagen, ich bin bei Lotte und kann Jona nicht mit ins Krankenhaus nehmen. Am Tag darauf arbeitete ich ab 7 Uhr. Zwar wäre „Kind-Krank“ eine Option, aber in der Probezeit sicherlich keine gute.

Zum Glück hatte Frau Schwiegermutter die Zeit und Jona machte es mit, sodass er den Montag während Mos und den Dienstag während meiner Arbeitszeit zur Oma konnte. Eine Sorge weniger!

Kirschnerdrähte im Arm

Als ich mit Jona im Krankenhaus ankam, war Lotte noch immer im OP. Nach einer Weile kam der operierende Arzt und berichtete, dass der Eingriff ein Erfolg war.
Schon vorher kündigte der Chirurg an, dass es zwei Möglichkeiten gibt und im Idealfall die erste funktioniert. Bei dieser wird der Bruch nicht operativ freigelegt, sondern durch eine Bohrung mit Kirschnerdrähten stabilisiert. Hätte das nicht geklappt, dann wäre die Fraktur mit Platten oder Nägeln versorgt worden. Aber da nach dem Röntgen alles an Ort und Stelle war, konnte das ausbleiben.

Wieder im Zimmer war Lotte nicht so richtig wach, hatte Schmerzen, konnte sich nicht gut bewegen und überhaupt war alles blöd. Mo fuhr mit Jona bald nach Hause und ich blieb bei ihr.
Die erste Nacht war für uns beide nicht sehr schön, da sie, trotz zusätzlichem Schmerzmittel, Schmerzen hatte. Sie durfte sogar noch das übliche Naproxen zusätzlich nehmen.

Insgesamt war alles sehr schwierig. Die Drähte steckten im Arm, der Arm in einer Schlinge. Lotte konnte ihn bewegen, aus versehen dran kommen, sich nachts drauf legen, etc. und das alles tat natürlich höllisch weh. Mir persönlich wäre ein Gips lieber gewesen, aber der war bei dieser Fraktur leider nicht möglich.

Der Sturz – wie es dazu kam

Am 1. Tag im Krankenhaus erzählte mir Lotte – erstaunlich detailliert – wie der Unfall passiert ist. Wir Eltern dachten, sie müsse von oben gefallen sein. Ist sie aber gar nicht.
Sie wollte die Leiter am Klettergerüst hinauf klettern und stand auf der zweiten Stufe, als sie sich nach dem Griff ausstreckte, um besseren Halt zu haben. Dabei rutschte sie ab und fiel rückwärts. Aufgekommen ist sie auf dem rechten Ellenbogen/Unterarm, wobei der Oberarmknochen knapp oberhalb des Ellenbogengelenks gebrochen ist und sich verschoben hat. Deshalb sah es für den Mann auch aus, als sei was am Ellenbogen (Ich selbst habe die Fraktur nicht gesehen).

Klettergerüst, von dem Lotte gefallen ist

Heilen lassen – es geht

Am ersten Tag zuhause dachte ich noch, dass wir das nie schaffen. Lotte ist wild, sie hüpft, rennt und springt und sie lässt sich nicht davon abhalten. Wie viele Unfälle würde es wohl geben?
Aber es hat sich alles eingespielt und nach 3 Wochen konnten die Kirschnerdrähte planmäßig entfernt werden. Unplanmäßig hingegen waren die beiden Besuche im Krankenhaus, zu denen Lotte neue Verbände bekam. Einmal wurde dabei auch noch geröntgt, weil sie zuvor auf den Arm gefallen war.

Kinderchirurgie
Röntgen nach einem Sturz auf den gebrochenen Arm

Der Chirurg sagte mir noch, wir müssten sie ruhig halten und bei jedem kleinsten Sturz vorbei kommen. Das haben wir in dem Ausmaß nicht getan, denn dann wären wir täglich, oft auch mehrmals, vorstellig geworden. Gefallen ist sie nämlich quasi dauernd, aber wir haben versucht sie grundsätzlich im Auge zu behalten und abzuschätzen, wie schlimm der Sturz und ob der Arm beteiligt war.

Am Ende wurde alles wieder gut: Der Arm war auch bei der Nachkontrolle zufriedenstellend verheilt, Lotte bewegt und belastet ihn wieder, als wäre nichts gewesen und eine Angst vor Klettergerüsten hat sie auch nicht entwickelt.
Trotzdem habe ich eine gewissen Skepsis Klettergerüsten gegenüber entwickelt. Andererseits weiß ich auch – aus leidlicher Erfahrung – dass Unfälle solcher Art überall und auch in harmloseren Situationen passieren können…