Ich weiß nicht wie es ist, seine Familie grausam sterben zu sehen. Ich weiß nicht wie es ist, seine Heimat zu verlieren. Ich weiß nicht wie es ist, von der Familie getrennt zu werden und nicht zu wissen, ob ich sie jemals wiedersehen werde. Ich weiß nicht wie es ist, wenn die Flieger kommen und alles niederbomben, was sich ihnen in den Weg stellt. Ich weiß nicht wie es ist, seine Kinder auf der Flucht sterben zu sehen. Ich weiß nicht wie es ist, vertrieben zu werden. Ich weiß nicht wie es ist, tausende Kilometer ins Ungewisse zu flüchten. – Denn ich habe das Glück – und mehr ist es tatsächlich nicht – in einem Land zu leben, in dem all das kein Thema ist. In einem Land, in dem das Dröhnen von Sirenen keinen Bombenangriff voraussagt, sondern höchstens den nahenden Rettungsdienst ankündigt. In einem Land, in dem es ein gutes Gesundheits- und Sozialnetz gibt. In einem Land, in dem meine Kinder in den Kindergarten, zur Schule und in Vereine gehen dürfen. In einem Land, in dem die meisten Probleme – sind wir mal ehrlich – luxuriöse sind.
In Deutschland zu leben ist nicht mein Verdienst. Ich habe nichts dafür getan oder tun müssen, um hier zu sein. Um ein Leben zu leben, um das mich viele Menschen auf der Welt wahrscheinlich beneiden. Ich habe ein Dach über dem Kopf, eine Ausbildung, zwei gesunde Kinder, einen Mann an meiner Seite und muss nicht fürchten das alles ohne mein Zutun zu verlieren.
Dass ich so lebe wie ich lebe habe ich keinem anderen Umstand zu verdanken als dem, dass ich Glück hatte. Doch es gibt viele, viele Menschen auf dieser Erde, die dieses Glück nicht hatten. Mehr noch: Sie hatten das Pech an einem Ort geboren zu werden, an dem sie und ihre Familien nicht sicher sind. An einem Ort, an dem Krieg herrscht, an dem es nicht lebenswert ist. Und natürlich tun diese Menschen alles dafür, um sich aus dieser Lage zu befreien. Um sich und ihren Kindern ein besseres Leben ermöglichen zu können. Dafür nehmen sie Gefahren auf sich. Dafür nehmen sie lange Wege auf sich. Dafür riskieren sie ihr Leben und das ihrer Kinder und Familienangehörigen. Und dann schaffen diese Menschen es, schaffen es in ein Land, in dem es nur besser werden kann. Sie hoffen. Sie glauben. Sie beten. An dieser Stelle sollte die Geschichte zu Ende sein. Die Menschen sollten Hilfe bekommen. Sie sollten endlich zu leben anfangen können. Doch sie stoßen auf Hass. Auf Rassismus. Auf Anfeindungen. Auf Angriffe. Sie müssen wieder Angst um ihre Sicherheit haben. Um die ihrer Kinder. Als würde nicht reichen, was ihnen bis hierher schon alles widerfahren ist – für uns in der westlichen Welt lebende Menschen unvorstellbares.

Ich vertrat immer die Meinung, dass meine Generation nicht dafür verurteilt werden darf, was im 2. Weltkrieg geschehen ist. Weder ich noch die nachfolgenden Generationen haben darauf einen Einfluss haben können – allein durch die Tatsache, dass wir die Katastrophe damals nicht miterlebt haben. Dennoch darf natürlich nicht vergessen werden. Die Geschichte sollte ein Mahnmal sein. Sie muss uns zeigen, was nie wieder geschehen darf. Und doch sind solche Gruppierungen immer noch vorhanden. Aktiv. Gegen Menschen. Das darf nicht sein. Sie dürfen nicht glauben, sie wären in der Überzahl, würden die Mehrheit unseres Landes repräsentieren. Denn das tun sie nicht. Sie sind eine Minderheit.
Und aus diesem Grund ist es wichtig aufzustehen, zu zeigen, wie die Mehrheit denkt. Willkommen zu heißen. Zu helfen. Nicht zu vertreiben. Nicht Hass und Fremdenfeindlichkeit zu propagieren. Sondern Menschlichkeit, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft.

Flucht – auch ich
#bloggerfuerfluechtlinge - Flüchtlingskind - 1989

1989 – gerade in Deutschland (Unna-Massen) angekommen – mein erstes Spielzeug

Als ich ein kleines Mädchen war, wurde meine Oma nicht müde mir unsere Familiengeschichte zu erzählen. Davon, wie unsere Familie – viele, viele Generationen vor meiner – nach Russland ging, um dort ein besseres Leben zu beginnen. Davon, wie meine Oma die Nachbeben des 1. Weltkrieges erlebte. Wie sie im 2. Weltkrieg – im Alter von 15 Jahren – erlebte dass ihr kranker Vater abgeholt, auf eine Pritsche geladen und mit unzähligen anderen Männer lebendig begraben wurde. Sie erzählte mir, wie ihre Mutter und Geschwister die Krater der eben entstandenen Bomben nutzten, um von den nächsten nicht getroffen zu werden. Sie sprangen von Krater zu Krater, hofften und beteten nicht sterben zu müssen. Sie schrien aus Leibeskräften nach ihrer Familie, als sie in Zügen abtransportiert wurden und durch die Menschenmasse keine Übersicht mehr hatten, ob die eigene Mutter, die Schwestern und Brüder auch drin sind.
Sie nutzten den kurzen Vormarsch der Deutschen, um zurück zu fliehen. Zurück nach Deutschland. Doch noch bevor sie ein neues Leben beginnen konnten, mussten sie schon wieder zurück. Die Russen kamen. Zwei meiner Großtanten schafften es, hier zu bleiben. Der Rest musste zurück. Zurück in ein Land, in dem sie gerade einmal so geduldet wurden. In ein Land, in dem sie als Verräter galten. In ein Land, in dem Armut und Hunger herrschten. In ein Land, in dem meine Oma später zwei ihrer Kinder sterben sehen musste. Weil sie verhungerten. Weil es keine medizinische Versorgung gab. Weil es niemanden kümmerte, wenn deutsche Kinder starben – nicht unähnlich dem, was aktuell geschieht.
Erst nach dem Mauerfall, der Wiedervereinigung Deutschlands, konnte meine Familie – und so auch ich – zurück nach Deutschland. Auch wir waren Flüchtlinge. Nicht rechtlich gesehen, aber von der Sache her doch sicherlich. Offiziell hießen wir Vertriebene und Spätaussiedler. Wir wurden in Auffanglagern registriert und aufgenommen. Wir bekamen eine (Sozial-)Wohnung zugewiesen. Ein Begrüßungsgeld. Entschädigungen. Doch all das hat nicht die Bilder des Erlebten löschen können. Auch wenn es vorbei war, ist das Geschehene geschehen. Unlöschbar vor dem inneren Auge eingebrannt.
Ich hatte Glück. Großes Glück. Für Erinnerungen an all das war ich zu jung. Ich durfte hier neu beginnen, den Luxus eines Kindergartens erleben, wurde eingeschult, habe eine Ausbildung gemacht und meine eigene Familie gegründet. Nicht weil ich es verdient habe. Sondern nur, weil ich Glück hatte.
Auch meine Familie hatte Glück. Weil sie deutsche Wurzeln hatte. Weil wir immer Deutsch sprachen, zwar heimlich, aber es gab zumindest keine Sprachbarriere. Und weil wir schon Familie und Freunde hier hatten, die uns den Start erleichterten und uns unterstützten.
Andere Menschen haben dieses Glück nicht. Sie erleb(t)en unaussprechliches, undenkbares. Und weil wir nicht privilegiert sind, sondern einfach nur Glück haben, weil wir alle eins gemeinsam haben: Wir sind Menschen. Alle! Egal welche Religion, aus welchem Land. Wir sind Menschen! „Reichtum verpflichtet“ sagte meine Oma immer – recht hat sie.

JedeR kann helfen!

#bloggerfuerfluechtlinge

Ich verfolge die Geschehnisse in Deutschland und schäme mich. Dafür, dass es Menschen mit so wenig Menschlichkeit gibt, ohne Herz und Verstand. Dafür, dass Menschen – es sind echte Menschen, wie Sie und ich! – dafür gehasst werden, dass sie nach Deutschland kommen. Dafür, dass unsere Bundesregierung nur lahmes Wischiwaschi verlauten lässt und keine klare Position vertritt. Dafür, dass eindeutig rechte Bewegungen als „Asylkritiker“ verharmlost werden. Dafür, dass Menschen, die schlimme Dinge erlebt, ihre Kinder auf der Flucht verloren und tausende Kilometer gereist sind nicht willkommen geheißen wurden…
Doch dann hab ich von vielen, vielen tollen Aktionen gehört und gelesen. Die Hoffnung geben, unterstützen und helfen.
Jeder kann helfen. Ob nun durch Sachspenden, den ehrenamtlichen Einsatz vor Ort, Geldspenden, das Teilen und Veröffentlichen und Sichtbarmachen von Hilfsaktionen oder das Kaufen eines Liedes.
Besonders die Aktion #BloggerFürFlüchtlinge hat in den letzten Tagen für Aufsehen gesorgt und ich freue mich, Teil davon sein zu können. Es wird gespendet, Postkarten mit Willkommensgrüßen finden ihren Weg zu den Neuankömmlingen und es ist einfach schön zu sehen, dass viel mehr Menschen betroffen sind und Mitgefühl zeigen, als „die Anderen„. ♥