Helicopter Parenting – oder zu deutsch Helikopter-Elternschaft – ist in aller Munde. Gefühlt überall wird sich darüber lustig gemacht, aber niemand will es gewesen sein. Und trotzdem kann ich gar nicht zählen, wie oft ich schon zusammen mit übertrieben behütenden Eltern auf dem Spielplatz war. Wie oft ich erstaunt die Stirn runzelte oder über mich, als Rabenmutter abgestempelt, getuschelt wurde. Es könnte lustig sein, wenn es nicht so traurig wäre.
Helicopter Parenting? Mir fehlt die Zeit!
Als Nina noch klein war, kannte ich die unterschiedlichen Erziehungskonzepte gar nicht. Alles was ich machte, war meinem Bauchgefühl geschuldet. Oder der praktischen Organisation im Alltag. So eben auch die Tatsache, dass ich sie zur Selbstständigkeit erzog. Ich war allein erziehende Mutter, da war niemand, der mir das Kind mal eben abnahm, damit ich mich um etwas anderes kümmern konnte. Um z.B. den Haushalt zu erledigen, hatte ich 3 Möglichkeiten: Ich konnte es machen, wenn sie schlief, ich konnte sie helfen lassen oder aber sie beschäftigte sich die Zeit über selbst. Meistens lief es auf einen der letzten beiden Punkte hinaus, weil es unglaublich zeitraubend ist, leise aufzuräumen.
Dadurch konnte es aber auch schnell mal zu Unfällen kommen. Während ich mich um die Küche kümmerte, konnte es schon einmal passieren, dass Nina beim Staub wischen vom Stuhl fiel. Bin ich in so einer Situation nun Rabenmutter, oder gebe ich meinem Kind die Möglichkeit eigene Erfahrungen zu sammeln und aus Konsequenzen zu lernen? Die Ansichten sind unterschiedlich.
Helicopter Parenting vs. Rabenelterndasein
Auf dem Spielplatz konnte ich es oft niemandem Recht machen.
Nina war ein sehr introvertiertes Kind, weshalb sie in neuen Situationen immer ein wenig Support brauchte. Wenn wir also den Spielplatz betraten, ist sie nicht einfach los gerannt und fing an zu spielen. Stattdessen saß sie bei mir und traute sich nicht loszulegen. Da ich mein Kind kenne und weiß, dass sie das auch durchhält, bis wir gehen, begleitete ich sie zunächst: Die Affenschaukel flößte ihr sowieso Respekt ein, also hüpften wir gemeinsam rein, schaukelten ganz wild und hoch, lachten und hatten Spaß. Auch die Wipp-Tiere machten gemeinsam doppelt Spaß! Und Rutschen kann man auch zusammen prima!
Urteile – so weit das Auge reicht.
Nina taute beim gemeinsamen Toben auf und traute sich dann auch alleine auf den Platz. Von den anwesenden Müttern hörte ich aber oft böse Kommentare „So jung wie die ist, ist es ja kein Wunder dass sie sich so aufführt!“ tuschelten sie, während sie ihr Kind auf die Rutsche hoben und beim herunter gleiten festhielten. Lächeln und Winken, mehr kann man da nicht machen, aber nervig ist sowas schon.
In der Regel beschäftigte sich mein Kind dann selbst. Nina erkletterte das Gerüst, um selbst zu rutschen. Stolz winkte sie mir von oben zu, wenn sie dort selbst angekommen ist „Hallooo, MAMA!“.
Sie baute Sandburgen im Sandkasten, wippte auf den Wipp-Tieren, rutschte wild. Wenn sie beim Schaukeln nicht um Hilfe bat, fand sie immer selbst einen Weg. Ob sie nun einfach nur die leere Schaukel anstieß und sich daran freute oder sich nur mit dem Oberkörper drüber hängte und mit den Füßen am Boden anschob – sie fand einen Weg, um Spaß zu haben. Alles gut? Denkste! „Das arme Kind, muss sich ganz alleine beschäftigen. Nicht einmal beim Schaukeln hilft die ihr!“ bekam ich zu hören. Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand und nicht offiziell. Auch das nervte mich. Sehr.
Natürlich war ich für meine Tochter da, wenn sie mich brauchte. Aber ebenso natürlich ist es für mich, sie selbst ausprobieren zu lassen. Warum auch nicht? Natürlich kann sie sich wehtun, aber das Leben ist nun einmal kein Ponyhof. Wenn X dann Y, ganz einfach. Und wie sollte sie sonst lernen, dass man von der Wippe fällt, wenn man sich nicht richtig festhält, wenn nicht durch eigene Erfahrungen im kleinen, relativ geschützten Rahmen? Selbstverständlich habe ich sie nicht vom 2 Meter hohen Apfelbaum fallen lassen, umgekehrt habe ich sie aber auch ermuntert zu versuchen heraufzukommen, anstatt ihr zu erzählen was sie alles nicht kann.
„Du kannst das noch nicht, pass lieber auf!“
Wie oft ich mit Nina auf einem Spielplatz oder ähnlichem war und mit anhörte, wie Eltern ihre Kinder demotivieren! Auch wenn das für mich als Außenstehende strange wirkte, hätte ich niemals was gesagt – weil: nicht meine Baustelle!
Vor einem Weilchen zum Beispiel waren wir im Panoramapark. Dort gibt es mehrere richtig geniale Kletterparcours mit einigen wirklich kniffligen Stellen. Die Kinder lieben diese Parcours und stehen regelrecht Schlange, um dort zu klettern. So natürlich auch meine Tochter. Hinter ihr kam ein Junge, der noch einen Kopf größer war als sie. Ich stand 2-3 Meter entfernt und beobachtete leicht amüsiert, wie die Mutter dem Jungen beim Hangeln immer wieder zu helfen versuchte. Er mühte sich ab, sie abzuschütteln und wiederholte in Dauerschleife, er wolle das jetzt mal versuchen, während seine Mutter nicht müde wurde ihm zu sagen, er könne das doch noch gar nicht und solle lieber mal da weg kommen, bevor ihm noch was passiere. Ich war baff.
was sage ich denn da?
Macht man das jetzt so? Sagt man seinem Kind, was es alles nicht kann, damit es das nicht ausprobiert und ggf. einen Misserfolg erleidet? Die Chancen stehen aber auch nicht schlecht, dass das Kind es schafft – und dann?
Während meine Tochter fertig war und sich erneut anstellte, wurde es dem Jungen jedenfalls sichtlich unangenehm. Nun stand auch noch sein Vater dabei und griff immer wieder unter die Füße, um ihn zu halten. Der Junge ließ sich frustriert fallen und erntete ein „Aaah, na siehst Du! Jetzt hast Du Dir fast weh getan!!“, dann ging die Familie. Als Nina mich nachher fragte, was denn mit dem Jungen gewesen sei, wieso er das nicht versuchen durfte, konnte ich keine echte Antwort finden. Ich erklärte ihr, dass die Eltern zu viel Angst hatten, ihm könne etwas passieren. Deshalb. Erstaunt schaute sie mich an „Beim Klettern? Was denn? Man kann doch nur loslassen und im Sand landen…?“ Ähem. Ja.
„Das schaffst Du schon!“
Ich weiß nicht, wie es richtig ist. Sicherlich gibt es da ein ausgeklügeltes pädagogisches Konzept. Ich weiß nur, wie ich bei uns mit neuen Situationen umgehe: Oft denke ich mir „Ohoh, das kann sie doch noch gar nicht!“ und wenn sie es ausprobiert, kann sie es doch und ich staune. Bei Nina hatte ich jetzt natürlich einige Jahre Zeit zu üben und weiß mittlerweile, dass ich dazu neige sie zu unterschätzen. Sie kann sehr wohl mit Freundinnen shoppen fahren, schwimmen gehen oder sogar einen Ausflug in den Panoramapark oder ins Phantasialand machen. Und das sogar ziemlich gut, selbst durchdacht und organisiert. Hinterher staune ich, wie gut das alles geklappt hat, aber ich lasse sie immer machen. Und selbst wenn etwas nicht klappen würde, so weiß ich genau, dass sie ein Sicherheitsnetz hat, welches dann greift.
Für uns ist das nichts.
Durch viele solcher Erfolge hat Nina wahnsinnig an Selbstbewusstsein gewonnen, aus meinem schüchternen, extrem introvertierten Kleinkind ist ein selbstbewusster PreTeen geworden, der ganz genau weiß, was er will und wie er es erreicht. Und wenn es doch mal nicht klappt, weiß sie dennoch, wie sie sich helfen kann, damit es nicht zur Katastrophe kommt.
Ob dieses Helicopter Parenting nun gut oder schlecht ist, kann ich nicht beurteilen, will ich aber auch gar nicht, denn das ist nicht meine Aufgabe. Ich weiß nur, dass ich zum einen nicht die Zeit dafür gehabt habe. Zum anderen aber passte das zu uns auch gar nicht. So what? – das musste es nämlich auch gar nicht. Denn zum Glück kann jedeR seinen eigenen Weg wählen und gehen. Schöner wäre es nur, wenn die Kommentare dazu weg blieben. Seufz.
Ich kenne diese Mütter und ich finde sie schrecklich. Man muss sein Kind auch mal machen lassen können. Allerdings weiß ich als Mutter auch, wann der Punkt erreicht ist, bei dem ich beim eigenen Kind einschreiten muss. Der variiert natürlich auch je nach Alter und Kind.
Paul ist derzeit in der „alles aufmachen, rausräumen, angrabbeln“-Phase. Da muss man notgedrungen immer auf der Lauer liegen. Man kann nicht immer alles weg räumen oder kindersicher machen. Beispielsweise in der Küche der Backofen. Den hat er mir letztens während des Betriebes geöffnet. Hab mal wieder seine Kräfte unterschätzt. Das hätte böse ausgehen können.
Krabbelt er wieder zu wild oder meint, Möbel verrücken zu müssen… Ja. Wenn dann mal was umfällt oder er auf der Nase landet. Muss er durch. Ohne Hinfallen kein Lerneffekt.
Was ich aber gar nicht mag ist, wenn Außenstehende sich einmischen. Paul wird aufgrund seiner stattlichen Größe für 11 Monate oft überschätzt. Was da schon für Sprüche kamen. Unmöglich.
Wie vor drei Wochen. Da setzte ich ihn in eine dieser großen Tellerschaukeln. War ihm nicht geheuer (dabei kannte er sowas schon. Nur kleiner). Als er anfing zu weinen, hab ich mich mit ihm hinein gesetzt und wir haben zusammen geschaukelt. Fand er super. Inzwischen ist es alleine auch kein Problem mehr…
Die Mutter gegenüber konnte sich aber nicht verkneifen, dies zu kommentieren. Eben da „ein Kind von knapp zwei Jahren das doch alleine hinbekommen sollte“. […]
Das ist der für mich springende Punkt. Lernen abzuschätzen, wann man eingreifen muss und wann das Kind das alleine hin bekommt. Ich sehe das hier immer beim Mann, wie unterschiedlich wir da gestrickt sind. Während ich noch locker zusehe, sprintet er zu Lotte, um sie von der Couch zu rupfen. Dabei kommt sie mittlerweile (meistens) ganz gut selbst runter. Und wenn sie runtersegelt, fängt sie sich erstaunlich gut ab.
Klar, so ein Backofen ist auch eine ganz andere Liga, das ist sehr gefährlich und muss – egal in welcher Phase – lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig beobachtet werden. Wir hatten da auch schon brenzlige Situationen (obwohl wir eine Kindersicherung drin haben, frag nicht :blank: ).
Und ich gebe Dir auch Recht, dass Einmischen nicht geht. Im Grunde genommen ist das beste Motto „Leben und leben lassen“ – leider klappt das zumeist weder in die eine, noch in die andere Richtung. Man (be)wertet automatisch, die Kunst ist wohl, sein Urteil für sich zu behalten…
Hey Tanja,
ich find’s toll, dass du weiterschreiben willst – als bisher stille Mitleserin möchte ich dir endlich mal mitteilen, dass ich deinen Blog sehr gerne lese und mich auf noch ganz viele schöne Beiträge von dir freue :)
Liebe Grüße aus Berlin
Lina
Liebe Lina,
das freut mich sehr – ganz lieben Dank für Dein Feedback! <3
Liebe Grüße zurück,
Tanja
Ich bin grundsätzlich dafür, dass die Kinder alles selbst ausprobieren sollen, muss aber auch zugeben, dass ich manchmal immer noch überängstlich bin. Liegt aber sicher auch daran, dass wir mit dem Minihelden bereits drei Mal in der Notaufnahme wg. Gehirnerschütterung waren, weil er einfach total unglücklich gestürtzt ist. Ich versuche immer entspannt zu bleiben, ist aber halt mit diesen Erfahrungen nicht immer so einfach. Es gibt Kinder, die stürzen mehr und Kinder, die stürzen weniger. Das habe ich schon früher bei meinen Cousinen gesehen. Letztendlich haben sie aber doch irgendwie immer ihre Schutzengel gehabt.
Ja das stimmt natürlich auch. Die Erfahrung prägt das eigene Verhalten selbstverständlich. Und das sieht man als AußenstehendeR nicht.