Junge, Mädchen. Wichtig war das nie. Doch wo fange ich an mit einem Thema, das im Alltag immer präsent war und gar keinen rechten Anfang hat? Vermutlich irgendwo mitten drin…

Lotte ist jetzt Flo – Junge statt Mädchen

Dieses mitten drin war im April. An diesem Tag waren wir gerade beim Anziehen. Lotte sprach mich mal wieder an. „Mama, wieso habt Ihr mich eigentlich Lotte genannt? Lotte ist ein Mädchen-Name, jetzt denken alle, ich wäre ein Mädchen!“ Ich erklärte, dass wir doch das Geschlecht des Babys sahen und eben daran den Namen entschieden haben.

Eine Weile war es ruhig, dann fragte sie erneut. „Mama, woher weiß man denn, dass man ein Mädchen oder ein Junge ist?“ Wieder setzte ich zu einer Erklärung an, doch sie unterbrach mich „Ja, das hast Du schon gesagt. So sieht man, ob man ein Mädchen oder ein Junge ist. Aber woher WEIß man das?“. Ich erklärte erneut das mit dem Geschlecht und sagte ihr, dass das der Körper sei, wirklich wissen könne es nur der Mensch selbst.
Lotte überlegte, es war wieder ruhig und dann kam der entscheidende Satz: „Okay Mama, dann steht es ja fest. Mein Körper ist zwar ein Mädchen, aber ICH bin ein Junge!“

Ich sagte erst einmal nur „Okay.“ und beließ es dabei.
Später am Tag sprach sie mich wieder an und bat, dass wir sie nicht Lotte, sondern Florian* nenne. Sie sprach es auch bei Mo an, nachdem er von der Arbeit zurück war.

Der richtige Weg – was tun?

Am Abend sprachen wir Eltern darüber. Obwohl das Thema irgendwie immer präsent war, war es nun quasi akut. „Typisch Mädchen“, so war Lotte nie. Aber darüber haben wir uns nie Gedanken gemacht. Sie war so, wie sie war und das war gut so. Sie wollte die Haare kurz und lieber Kleidung mit Drachen, Autos oder Baggern. Rüschen und Pink? Nein, das ging meistens nicht. Selten war ein pinker Pullover okay und auch nur, wenn dort ein interessantes Motiv drauf war.
Aber: Was solls? Nicht jedes Mädchen mag Pink, nicht jeder Junge steht auf Autos, oder?

Das Thema war grundsätzlich nicht neu bei unserem mittleren Kind. Die erste Äußerung diesbezüglich machte sie, als sie gerade einmal 20 Monate alt war. Aber da war gerade der kleine Bruder geboren, was denkt man sich da? Genau.

diesmal war es anders

Und doch war es diesmal anders. Junge-Mädchen, darüber sprachen wir öfter. Lotte fragte und sprach. Sie wollte Erklärungen. Immer und immer wieder. Warum hat der kleine Bruder einen Penis und sie nicht? Warum heißt sie Lotte und nicht Alexander? Warum haben wir ihr einen Mädchen-Namen gegeben? Warum hat sie die Haare lang? Warum, warum, warum?

Viele Warums, vieles, was wir nicht so einfach ad hoc erklären konnten. So manches änderte sie bereits schleichend, wie zum Beispiel die Haare: Nach dem Armbruch kamen sie auf Schulterlänge ab, Anfang des Jahres wollte sie einen härteren Schnitt: Wie Papa!

Ich werde nie vergessen, wie mein Kind da im Friseurstuhl saß, sich im Spiegel betrachtete, lachte und jauchzte „Mama, ich  bin jetzt ein richtiger Junge! Schaut mal! Ich  bin ein echter Junge!“. Ich war ganz perplex und die Friseurin bekräftigte, das das nicht stimme, sie sei ein hübsches Mädchen, eben mit kurzen Haaren.

Unterstützung? Natürlich!

Mo und ich waren uns anfangs unsicher. Was ist das? Wie gehen wir richtig damit um? Ich las viel dazu. Kinder machen das schon mal. Sie wollen mal in die Rolle des anderen Geschlechts schlüpfen und ausprobieren, wie das Leben so ist. Also wie sollten wir damit umgehen? Ich las viel und informierte mich. So war schnell klar: Es gibt nur einen Weg, den Weg, den wir ohnehin immer nehmen: Wir nehmen die Kinder so, wie sie sind.

Gerade jetzt, wo das mittlere Kind noch so klein ist, kann es das ausprobieren. Ganz einfach und unkompliziert. Was haben wir dabei zu verlieren? Nicht viel. Wenn wir die Wünsche respektieren und mitgehen, kann es sich am Ende als eine Phase herausstellen. Dann ist das eben so und kein Problem. Wenn es keine Phase ist und sich unser Mittelkind wirklich dem männlichen Geschlecht zuschreibt, dann haben wir es immerhin nicht entgegen dem eigenen Empfinden zu irgendwas gezwungen.

Doch was würde passieren, wenn wir es dem Kind ausreden würden? Was, wenn wir die Wünsche nicht annähmen, wie sie sind, obwohl das Kind so empfindet? Ich denke dann würden wir vieles im Kind kaputt machen. Und das ist das letzte, was wir als Eltern für unser Kind wollen.

Also ist es ganz einfach: Lotte ist jetzt Flo.

*Flo ist ein anonymisierter Spitzname für den Blog.