Seit 14 Jahren bin ich Mama. Genau seit heute. Ich blicke zurück auf 14 Jahre Mutterschaft und kann es nicht fassen, wie schnell die Zeit vergangen ist. Wie schnell aus dem schwarzweißen Zellhäufchen im Ultraschall ein echtes Baby, ein Kleinkind, ein Schulkind und schlussendlich ein Teenager, der mitten in der Pubertät steckt, geworden ist. Manchmal wünsche ich, ich könnte die Zeit anhalten. Nicht ganz zurück drehen, nur anhalten. Nicht um der Vergangenheit Willen, sondern um die Gegenwart auszukosten. Um genauer hinsehen und den Moment mehr leben zu können. Besonders im hektischen Alltag fehlt er oft, der Pause-Button. Der Button, der Zeit lässt, Luft zum Atmen und Raum für Überlegungen…
14 Jahre Mama-Sein – über die Pubertät und die echten Monster
14 Jahre Mama-Sein bedeutet, dass das kleine Mädchen gar nicht mehr so klein ist. Dass es groß ist, genauso groß wie ich. (Naja, fast genauso, es fehlen nur noch 5 Zentimeter.) Es bedeutet, dass sich das Mädchen schminkt, dass Kleidung schon lange nicht mehr aus der Kinderabteilung gekauft wird und dass es eine eigenen Stil hat. Einen ganz eigenen. Zu meinem Erstaunen sogar einen, der sich sehr von dem der anderen Mädchen aus der Peer-Group abhebt. Sie sagt immer, dass die Mädchen hier so altbacken sind und ich muss dann ein bisschen schmunzeln, wenn ich daran denke, dass noch vor ein paar Jahren unbedingt das her musste, was alle hatten und niemals das, was sonst niemand hatte.
Heute vor 14 Jahren war es da, das Baby, auf das ich mich seit Monaten gefreut habe. Ich hatte Vorstellungen davon, wie es mit diesem kleinen Baby sein würde, doch ich war auch aufgeregt, unsicher und wusste doch nicht, was genau da auf mich zukommen würde.
Plötzlich lag sie da, in meinem Arm. So süß und verknautscht, so wahnsinnig klein und niedlich. Ich ahnte, dass eine Mutter ihr Kind liebt, doch mit welcher Wucht, mit welcher Übermacht diese Liebe einfach da war, wie sehr sie mein Herz plötzlich ausfüllte, das hatte ich nicht erwartet. Jeden Augenblick genoss ich, konnte die erste Nacht überhaupt nicht schlafen, weil ich einfach so unfassbar glücklich und tief beeindruckt von dem Bündel Mensch war, das nun nicht mehr in meinem Bauch, sondern im Bettchen neben mir schlief.
Diese erste Nacht werde ich wohl – wie viele andere Momente – niemals vergessen. Es lag so ein Zauber in der Luft, so viel Liebe, so viel Glück. Aber auch so viel Unsicherheit, denn ich wusste nicht, wie das als Mama ist. Nicht die alltäglichen Dinge sorgten mich, sondern das Gesamte. Ich kannte diesen kleinen Menschen nicht, wusste nicht, wie er sein, wie unser Weg werden würde. Ich wusste nicht, ob ich meine Aufgabe gut machen, ob ich das alles schaffen würde. Aber ich hoffte darauf.
Und nun ist dieses kleine Baby, mein Mädchen, unglaubliche 14 Jahre alt. Ein Teenager. In den 14 Jahren ist wahnsinnig viel passiert. Ich habe sie aufwachsen sehen und sie dabei begleitet. Sie begann sich zu drehen, Brei zu essen und die Welt zu erkunden. Ihre ersten Schritte machte sie an meiner Hand und ihre ersten Worte sagte sie zu mir. Ich war da, als sie fiel und wieder aufstand. Wörtlich und im übertragenen Sinne. Ich tröstete sie, wenn sie weinte und hörte ihr zu, wenn sie traurig war. Gemeinsam begannen wir den neuen Lebensabschnitt bei der Tagesmutter, später im Kindergarten und nach einer Weile in einem neuen Kindergarten. Ich war bei ihr, wenn sie schlecht schlief, brachte sie zu Freunden und war bei vielen Veranstaltungen dabei. Wir zogen ins Sauerland, wo sie zum Schulkind wurde, die Klasse wechselte und begleitete später ihren ersten Weg zur weiterführende Schule.
Wir haben in dieser Zeit gemeinsam geweint und gelacht, ich bekam Einblicke in ihr Denken, in ihre Persönlichkeit, lernte sie immer mehr kennen. Ich sah, wie sehr der Einfluss der Peer-Group stieg, wie wichtig er wurde. Nina veränderte sich, wuchs über sich hinaus, wurde immer selbstbewusster und steht mittlerweile zu ihrer Persönlichkeit, ihrer Meinung, ihrem Glauben und ihrem Ich. In ihrer Klasse kam sie schnell an, hatte einen großen Freundeskreis und stand mitten drin. Plötzlich war sie nicht mehr „die Zugezogene“. Sie war Tonangeberin, Meinungsmacherin und freute sich täglich auf die Schule.
Nun, im 5. Jahr auf dem Gymnasium, hat sich vieles verändert. Nicht unbedingt zum Guten. Oft liege ich nachts wach und frage mich, was das ist. Ist das der normale Lauf der Pubertät? Sind das normale Zweifel in der Selbstfindung eines Teenagers? Habe ich was falsch gemacht? Etwas falsches gesagt, falsch gehandelt oder ihr nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt?
Die Leichtigkeit und das Glück in ihren Augen erlosch in den letzten 3 Jahren tagtäglich mehr. Stattdessen sehe ich Kummer und Sorgen, großen Widerwillen zur Schule zu gehen und noch mehr, mit den Mädchen ihrer Klasse zusammen zu sein. Mobbing, Lästereien und die fehlende Klassengemeinschaft schafften Raum für „Jeder gegen jeden“. Am Rande steht eine Klassenlehrerin, die zwar Maßnahmen ergreift und dran arbeitet, aber bisher keine Veränderung herbeiführen konnte.
Ich sehe meine Teenager-Tochter, sehe, wie sie sich immer mehr zurück zieht, viel Zeit alleine oder im Internet verbringt und nur noch wenig unterwegs ist. Klar, da sind die beiden Lieblingsfreundinnen, die ihr Halt geben. Doch das reicht nicht. Sie kann Unehrlichkeit nicht ausstehen und so nimmt sie Abstand zu den Dingen, die sie belasten. Umgekehrt belastet sie das Nicht-Wissen mindestens genauso sehr und so ist sie in einem Kreislauf gefangen, aus dem es sichtlich keinen Ausweg gibt.
Mittlerweile hat sie abgeschlossen. Mit dieser Klasse, mit dieser Schule. Sie sucht nach Möglichkeiten, spricht viel über einen Wechsel. Wohin? Gern die Schule, am liebsten auch das Bundesland oder gar den Kontinent. Sie wünscht sich ein Auslandsjahr, ein Internat oder zumindest eine andere Schule.
Nicht alles können wir ihr als Option anbieten, aber zumindest die Schule ist eine Möglichkeit. Ich weiß nicht, ob das ihre Probleme lösen wird und ich kann ihr nicht versprechen, dass es an einer anderen Schule anders oder gar besser wird. Aber ich kann ihr den Rücken stärken und diese Option anbieten, auch wenn ich nicht mit ihrer Meinung übereinstimme. Eigentlich wünsche ich mir, sie hätte noch nicht abgeschlossen und würde den Blick für die guten Dinge behalten. Ich wünsche mir, sie würde nicht nur das Negative sehen und wäre offen für das Positive. Aber wenn ich mit Nina spreche merke ich deutlich, dass sie in ihren Gedanken und mit ihrem Herzen längst gegangen ist. Ich sehe, wie sie leidet und wie schlecht sie schläft. Ich wünschte es gäbe sie noch, die Leichtigkeit, mit der ich früher ihre Probleme lösen oder sie zumindest dabei unterstützen konnte. Doch heute ist diese Macht nicht mehr da. Heute muss ich vor allen Dingen aushalten lernen. Und das ist vielleicht die größte und schwerste Lektion des Mutter-Seins. Halten, trösten, zuhören, Tränen trocknen – und doch nichts ändern können.
Vor vielen Dingen habe ich mich gefürchtet. Insbesondere vor der Pubertät. Überall hörte ich „Warte nur ab, die Pubertät…!“ und ich hoffte, dass ich mit Nina in Verbindung bleibe. Dass wir eine gute Beziehung, eine Basis haben würden, die uns beiden die Pubertät erleichtern würde. Doch das Schreckgespenst Pubertät hat mich nicht überrascht, stattdessen kamen ganz andere Monster, mit denen ich nicht gerechnet, die ich nicht kommen sehen habe. Wir arbeiten daran. Alleine und mit Unterstützung und ich hoffe für Nina, dass sie ihre Monster besiegen und gestärkt aus dieser Zeit gehen kann.
Ich will meine wundervolle, witzige, kluge, mitfühlende, wunderschöne, warmherzige, glückliche, selbstbewusste, hilfsbereite, zielstrebige, ausgeglichene Tochter zurück haben. Ich will, dass sie wieder sie ist, dass die Trauer, der Zorn und all die Zweifel ihre Macht über sie verlieren.
Ich weiß nicht, was in den nächsten Monaten auf uns zukommt und wie es weiter geht. Noch nicht. Aber ich gebe mein bestes für sie da zu sein, ihr beizustehen und hoffe, dass das reicht. Erstmal.
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