Manchmal ist es schon ein ziemlicher Luxus, so ein großes Kind zu haben. Das stelle ich immer wieder überrascht fest. Die große Tochter läuft oft so nebenher. Habe ich häufig das Gefühl. Und dann packt mich wieder das schlechte Gewissen. Irgendwie gehört sich das doch nicht. Nebenher. Ein Kind. Hallo?!
An den guten Tagen ist es aber tatsächlich so. Immer vorausgesetzt, ich erwarte nichts von der großen Tochter. Keine Aufräumarbeiten, keine Präsens zu irgendwelchen Terminen oder ähnlichem. Dann läuft sie nebenher.
Wenn ich von der Schule nach Hause komme, finde ich häufig einen Zettel. Da steht dann, wo sie grade steckt. Zumindest ungefähr. Wenn sie Freunde besuchen möchte, bekomme ich immerhin eine SMS oder einen Anruf, um das genauer abzuklären. Oder sie möchte hingefahren werden. Oder abgeholt werden.
Sie ist selbstständig, wie eine 9-jährige nur selbstständig sein kann. Sie geht morgens alleine zur Schule, isst danach (meist) im Hort zu Mittag und geht direkt im Anschluss nach Hause. Hier setzt sie sich sofort an die Hausaufgaben und macht sie. Danach ist sie unterwegs. Entweder sie düst im Dorf herum, geht im Supermarkt einkaufen, fährt auf dem Schützenplatz Inliner oder aber besucht Freunde. Letzteres ist meistens das, was sie möchte. Es klappt aber nicht immer, da auch ihre Freunde Verpflichtungen haben. In Vereinen. Im Haushalt. Bei Hobbies. In der Familie. Das ist dann schade, hier ja aber auch nicht anders.
Mittlerweile hatte sie sogar schon mehrfach sturmfrei Zuhause und brachte ihre ♥-Freundin mit. Auch das klappte. Als ich Heim kam, saßen die Mädchen am Laptop und arbeiteten an ihrem Referat für den Sachkundeunterricht. Und ich staune. Meine Tochter? Huch? Wann ist das denn passiert?
Als sie das erste Mal fragte, ob sie mit dem Fahrrad zu einer Freundin fahren dürfte, war meine erste Reaktion NEIN. Doch im Gespräch mit dem Liebsten musste ich dann doch einsehen, dass sie ja so klein gar nicht mehr ist und ihre Freunde auch schon alleine unterwegs waren. Auch wenn die große Tochter die kleinste und jüngste in ihrer Klasse ist, so ist sie doch genauso weit. Vom kognitiven und sozialen her. Also musste ich loslassen. Sie ziehen lassen. Ihr immer mehr eigenverantwortliches Denken zutrauen und ihr vor allen Dingen auch vertrauen. Dass sie das alles wirklich schafft.
Rein logisch wusste ich, dass sie sehr umsichtig ist, zumeist nicht leichtfertig reagiert und z.B. im Straßenverkehr eher vorsichtig ist. Mein Gefühl aber brüllte einfach nur Nein-das-ist-mein-kleines-Mädchen-und-sie-ist-viel-zu-klein.
Wir stellten auch hierfür ein paar Regeln auf, an welche sie sich halten muss, wenn sie diese Freiheiten genießen möchte. So müssen wir immer wissen, wo sie sich aufhält. Zumindest ungefähr. Also auf welcher Dorfseite sie sich befindet. Auch möchten wir wissen, mit dem und womit sie unterwegs ist. Pünktlichkeit ist uns ebenfalls wichtig. Und zu guter letzt muss sie immer ihren Schlüssel und das Handy mitführen. I.M.M.E.R!
Da wir auf dem Dorf leben, gab es jetzt einige Male Probleme mit dem Empfang. Sie hatte kein Netz und bekam die Meldung, ein Anruf könne nicht getätigt werden. Wie die große Tochter halt so ist, bricht sie in Tränen aus. Klar. Zum Glück hatte sie in diesen Situationen immer einen Erwachsenen in der Nähe, den sie gut kennt (die Reitlehrerin), der sie dann beruhigen und ihr mit dem eigenen Gerät aushelfen konnte. Puuuh. Mittlerweile weiß sie aber auch, wie sie damit umzugehen hat und dass das kein Weltuntergang ist.
Umgekehrt gibt es aber auch die Tage, die dann zeigen, dass die große Tochter natürlich auch noch die Eltern an ihrer Seite braucht. Sie hat dann schon Mal schlechte Laune, weil sie von irgendwas/-wem absolut genervt ist und das an allem und jedem auslässt. Das sind dann Tage, an denen sie sich abends ganz eng in meinen Arm kuschelt und ihrem Weltschmerz freien Lauf lässt. Und wenn die Tränen dann durch geduldiges Zuhören und Trösten getrocknet sind, ist die Laune auch wieder deutlich besser. Und daran merke ich dann auch wieder, dass sie so ganz nebenher gar nicht laufen kann, denn sie braucht Zuwendung, Trost und ein offenes Ohr. Mal mehr, mal weniger. Ich muss sie nur in den richtigen Momenten ziehen lassen. Oder in den Arm nehmen und für sie da sein. Dann ist alles gut. ♥
Das klingt wirklich schon sehr selbstständig…. schön, dass es auch so zuverlässig klappt. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass es schwer fällt, loszulassen.
Ja, der Anfang war wirklich, wirklich, WIRKLICH schwer. Dabei bin ich gar keine Gluckenmama, aber rückblickend betrachtet war es wirklich dieses „Loslassen“, was schwierig war. Seufz…
Das klingt sehr schön.. Was ich aber bewundere an Deiner Tochter, ist ihre Schrift. Ich kenne solche Briefe/Zettel auch, allerdings muss man bei diesen 3 Semester Kryptographie absolviert haben!! ;-)
Findest Du? Ich sehe ihre Schrift immer in den Heften und kann nur mit dem Kopf schütteln. Linkshändersauklaue. (Wobei der Zettel hier wirklich recht ordentlich geschrieben ist. So im Gegensatz zu sonst.) :D
Wow, wie schnell das doch geht… Und wie schön es ist, dass das so möglich ist!
Bei uns wäre das auch kein Problem, wir haben Wiesen und Felder vor der Tür, die Hauptstraße ist etwas weiter weg. Ich bin so froh, nicht nach HH und Flensburg gezogen zu sein, da würde ich mein Kind vermutlich erst viel später alleine gehen lassen.
Und solange sie immer noch zu dir kommt, wenn die Welt zu groß ist – bleibt sie deine kleine Prinzessin :)
Ja, das ist der große Vorteil am Landleben – man muss sich viel weniger Gedanken machen, kann die Kinder früher „ziehen lassen“ und ihnen mehr Verantwortung übertragen.
Zuvor, als wir noch in Bonn wohnten, hätte ich sie nicht einmal alleine in die Schule schicken können. Sie hätte mit dem Bus (öfftl. Verkehrsmittel, nicht Schulbus) fahren und zweimal umsteigen müssen. Hui!
Wow, sie ist soooooooooo groß!