Damals, als die Prinzessin noch ein kleines Prinzesschen gewesen ist, da war ich eine recht junge Mutter. 18 Jahre alt, eben mein 1. Ausbildungsjahr abgeschlossen. Mir war direkt klar, dass ich nur eine Elternzeit von 2 Jahren nehme und dann weiter machen werde. Dass das die IHK Bonn vor ein gewisses organisatorisches Problem stellen könnte, ahnte ich nicht.
Die erste Hürde zu meinem Wiedereinstieg lag darin, dass die Prinzessin mit ihren knapp 23 Monaten keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben würde. (Abgesehen davon, hatte der einzige Kindergarten im Ort eine Warteliste, die sich mit Kindern füllte, sobald die Eltern einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielten.)
Ich war einer Tagesmutter gegenüber aber stark abgeneigt, zumal zu diesem Zeitpunkt wieder einmal Berichte über Misshandlungen bei dieser Betreuungsform durch die Medien gingen. Da dies aber meine einzige Möglichkeit war, wollte musste ich es dennoch versuchen.
Auch Tagesmütter gab es dort nicht viele, da gerade eingeführt worden war, dass Tagesmütter eine Ausbildung und Qualifizierung nachweisen müssen. Die Meisten in meinem Dorf waren noch nicht so weit. Zur Auswahl hatte ich dann genau eine Tagesmutter.
Zum ersten Kennenlernen ging ich mit sehr gemischten Gefühlen. Eine echte Wahl hatte ich ja nun nicht, daher war mir bewusst, dass ich sie nehmen muss, ob es zwischen uns nun passt, oder nicht. Doch wir hatten Glück. Wahnsinniges Glück. Bianka lernte ich als eine ganz wunderbare Person kennen, die sich aus vollem Herzen und gerne um ihre Tageskinder kümmerte. Das Prinzesschen stand ihr allerdings von Beginn an kritisch gegenüber. Daran war ich aber gewöhnt, denn sie mochte fremde Menschen einfach nicht, kannte solche Situationen nicht.
So kam es, dass ich das Prinzesschen am 01. August 2006 morgens um 5.30 Uhr bei Bianka abgab. Trotz Eingewöhnungszeit zuvor gab es beim Abschied viele Tränen und ich fuhr mit gemischten Gefühlen ins Büro.
Am liebsten hätte ich mein Kind wieder abgeholt, wäre mir ihr nach Hause gegangen, hätte mit ihr gekuschelt, hätte sie getröstet und mit ihr den Tag verbracht. Andererseits wollte ich meine Ausbildung abschließen. Unbedingt. Zumal mir bewusst war, dass ich als junge Mama kaum noch eine Chance auf einen neuen Ausbildungsplatz haben würde.
Als ich meine Tochter um 18.30 Uhr abholte, kam mir ein strahlendes aber sehr müdes Kind entgegen. Sie freute sich wahnsinnig, dass ich wieder da war, hatte aber auch einen schönen Tag mit Bianka verbracht. Allerdings berichtete Bianka, dass das Prinzesschen nichts gegessen hatte. Gar nichts. 12 Stunden lang. Kein Happen. Ich war schockiert, wusste gar nicht, wie ich damit umgehen sollte. Sie wirkte zwar nicht übermäßig hungrig, doch musste sie es sein, oder?! Zuhause aß sie dann auch Unmengen.
Am nächsten und darauf folgenden Tag gab es immer die selbe Rückmeldung: die Prinzessin isst nichts. Ich konnte nicht mehr mit gutem Gewissen ins Büro, machte mir ständig Sorgen um mein Kind. Musste da aber dennoch durch. Irgendwie.
Nach einer Woche – ich war schon drauf und dran zu kündigen – schrieb mir Bianka eine SMS. Es sei doch so einfach, sie müsse mit der Prinzessin nur Picknicke veranstalten, dann äße sie auch – und wie! Mir fiel ein großer Stein vom Herzen! Und ich war – und bin! – Bianka unheimlich dankbar.
Von da an lief es jeden Tag besser. Täglich wurden es ein paar Tränchen weniger und irgendwann konnte es die Prinzessin gar nicht erwarten, dass ich verschwand. Ein weinendes und ein lachendes Auge, Sie kennen das…

Das war unser Start in die Betreuung. Mit knapp 23 Monaten. Heute ist die Prinzessin 9 Jahre, also 108 Monate alt. 85 Monate – etwa 7 Jahre – ihres Lebens verbrachte sie seitdem in Fremdbetreuung. Den Großteil ihrer Kindheit.

Betreuung - Kindergarten - Tagesmutter - keine echte Wahl

Und ich muss gestehen: Damals wie auch heute wünsche ich mir, ich könnte diese Betreuung selbst übernehmen. Mittags ein Mittagessen kochen. Meine Tochter von der Schule empfangen. Gemeinsam essen, dabei reden, schäkern. Sie bei den Hausaufgaben unterstützen. Ihr ermöglichen, sich nachmittags zu einer Zeit mit Freunden zu verabreden, zu der es sich auch lohnt.
Stattdessen ist sie morgens alleine Zuhause und geht dann zur Schule. Geht nach der Schule in den Hort. Bekommt ein meist nicht sehr wohlschmeckendes Mittagessen serviert. Muss im wüsten Chaos und mit dem Verbot auf die Toilette zu gehen, direkt im Anschluss ihre Hausaufgaben machen. Nach den Hausaufgaben  muss sie sich bis 16 Uhr selbst beschäftigen, denn Angebote oder eine echte Betreuung gibt es nicht. Zwischendrin wird sie laut angemotzt und unfair behandelt. Bilanz des Hortes: eine reine Kinderverwahranstalt.

Zuhause höre ich häufig Vorwürfe. Sie möchte da nicht hin. Warum ich nicht da sein kann. Wie andere Mütter.
Ein Stich, denn hier ist es tatsächlich so, die Väter gehen arbeiten, die Mütter kümmern sich um die Kinder. Im Hort sind lediglich Ausnahmen zu finden. 38 Kinder, aus 7 Klassen. Landleben eben.

Was ich mir wünschen würde?
Ein Modell von der Politik  in dem Eltern eine echte Wahlmöglichkeit haben. Ein Modell, in dem Eltern finanziell unabhängig entscheiden können, ob sie ihre Kinder fremd oder selbst betreuen möchten. Ein Modell, das auch einen Mix möglich macht und Flexibilität bietet. Ein Modell, in dem das wichtigste was wir haben – unsere Kinder – als Persönlichkeiten mit individuellen Wünschen und Bedürfnissen respektiert und akzeptiert werden.
Stattdessen müssen Eltern ihre Kinder immer früher in Betreuung geben, weil es finanziell mit einem Gehalt gar nicht anders geht. Weil beide Eltern gezwungen sind, Voll- oder zumindest Teilzeit arbeiten zu gehen, um ein halbwegs lebbares Leben führen zu können.
Traurig.