Ich bin immer wieder erstaunt, wie anders die Uhren hier auf dem Land noch ticken. Hier existiert es noch, das uralte Bild eines Vaters, der Vollzeit arbeiten geht und einer Mutter, die sich um die 2-3 Kinder kümmert, höchstens Teilzeit arbeitet und den Haushalt schmeißt.
Auf Elternabenden wird nicht gefragt, ob die, übrigens fast ausschließlich anwesenden, Mütter vormittags auch Zeit haben. Davon wird einfach ausgegangen. Weil das hier halt so ist. Beim Bücherei-Dienst, bei den Bundesjugendspielen, beim Lesewettbewerb, beim Volleyball-Turnier oder beim Fußballspiel – überall sind Mütter begleitend dabei. Vormittags. Natürlich.

Zuletzt besprachen wir auf dem Elternabend den Ablauf der Abschlussfeier unserer 4. Klasse. Es kamen einige Vorschläge und am Ende einigten wir uns auf eine Wanderung in einen nahe gelegenen Ort. Mit anschließendem Grillen und Feiern. Über die Zeitfrage machte ich mir erst Gedanken, als sie angesprochen wurde. Spätestens um 14 Uhr wollte man am Ort des Geschehens sein, etwa 1-2 Stunden dauert die Wanderung, also sollte sich die Gruppe gegen 12 auf den Weg machen. Die Väter könnten sich ja dann dazu gesellen, so ab 15 bis 16 Uhr, das sei ja kein Problem – fiel dann irgendwann. So? Die Väter? Was ist denn mit berufstätigen Müttern, da käme doch sicherlich gleich Protest!? Nein, er kam nicht. Denn hier ticken die Uhren noch anders. Die Mütter sind da, immer. Sie organisieren sämtliche Feste und Feiern, begleiten diverse Events und Ausflüge, kochen und backen was das Zeug hält. Und erziehen nebenbei die (kleinen) Kinder. Denn die gibt es hier auch grundsätzlich: Geschwister.

Betrachtet man die Betreuungsmöglichkeiten im Ort, so kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus, denn unser Dorf hat weniger als 1700 Einwohner, dafür aber 2 Kindergärten und eine eigene Grundschule. Der katholische Kindergarten nimmt Babys ab 6 Monaten und hat immer freie Kapazitäten. Das Montessori-Kinderhaus ist altersgemischt und bietet 20 Betreuungsplätze für die Zeit zwischen 7.30 bis 16.30 bzw. freitags bis 16.00 Uhr.  In der Grundschule gibt es den Hort, der, wie der katholische Kindergarten, ebenfalls keine Kinder ablehnt und von 7.00 bis 16.00 Uhr betreut.
Theoretisch können Kinder hier also recht früh und recht lange betreut werden. Doch praktisch läuft es ganz anders.
Die meisten Kinder kommen mit etwa 3 Jahren in den Kindergarten und werden bis zur Mittagszeit betreut. Um 11.30 Uhr werden sie dort wieder abgeholt und essen Zuhause zu Mittag. Sind sie älter, so werden sie um 14 Uhr noch einmal hin gebracht, andernfalls bleiben sie den Rest des Tages Daheim. Die meisten Schulkinder gehen nach dem Unterricht direkt nach Hause, essen dort zu Mittag, machen ihre Hausaufgaben, verabreden sich im Anschluss oder gehen ihren Hobbys und Vereinen nach. Nur ein kleiner Teil wird im Hort betreut. Von 120 Kindern, die ca. auf der Schule sind, gehen knapp 40 in den Hort.
Auch die Kosten für die Betreuung fallen hier, verglichen mit einer (Groß-)Stadt, marginal aus. Für eine 45 Stundenwoche bezahlen wir inkl. Mittagessen unter 100,- €.
Hätte ich die große Tochter damals in Bonn auf die Schule und in den Hort geschickt, so hätte die Betreuung ohne Mittagessen weit über 300,- € gekostet und ein Platz wäre uns selbstverständlich  nicht sicher gewesen. Die Wartelisten sind lang, der Betreuungsschlüssel nicht deckend und die Kosten hoch.
Dennoch werden in Bonn wesentlich mehr Kinder deutlich länger betreut. Die meisten verbringen ihren Tag von 8 bis 15 Uhr im Kindergarten. Viele sind Einzelkinder oder haben maximal ein Geschwisterchen. Die Eltern gehen großteils beide Vollzeit arbeiten. So zumindest meine Beobachtung aus knapp 8 Jahren Fremdbetreuung.

Hier dagegen wird man bereits als asozial abgestempelt, wenn die Kinder überhaupt betreut werden. Immer wieder erlebt und immer wieder gestaunt. Wie oft ich schon schiefe Blicke und blöde Kommentare bekommen habe, nur weil ich bei einem Verabredungswunsch sagen musste „Äh, nee, ich bin frühestens ab 16 Uhr Zuhause, da kann ich Kind X nicht direkt nach der Schule mit Heim nehmen.“. Völlig selbstverständlich kommt dann die Frage, wo denn die große Tochter zu Mittag isst? Und wer ihr bei den Hausaufgaben hilft? Und ob das nicht ein bisschen zu viel Betreuungszeit wäre?

Zugegeben, die große Tochter würde sich die Betreuung so wünschen, wie sie bei den Freundinnen stattfindet. Und ich auch. Zumindest zum Teil.
Andererseits würde ich aber auch nicht vom Liebsten abhängig sein wollen. So völlig. Ich habe immer im Hinterkopf, dass ich auch auf eigenen Beinen stehen können möchte. Immer! Vielleicht ist das ein wenig zu weit gedacht. Vielleicht ist es aber auch genau das, was mir ein beruhigendes Gefühl gibt.

Fest steht, dass wir nicht so bald ins Dorfbild passen werden. Auch wenn ich im Dezember 2014 meine Prüfungen abgelegt habe und erst im Oktober 2015 mit dem Studium beginnen kann, so werde ich in der Zwischenzeit nicht „Hausfrau und Mutter“ sein. Ich weiß zwar noch nicht so genau, wie es betreuungsmäßig weitergehen wird, wenn die große Tochter die weiterführende Schule besucht, aber irgendwie wird es weitergehen. Tut es immer.